aus PAULINUS, Nummer 13 · 27. März 2011
B L I C K P U N K T, Thema: Palliative Versorgung, von Eva-Maria Werner
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Mut zur Ehrlichkeit am Bett
Über 80 Prozent der Menschen möchten gerne zu Hause sterben, doch mehr als 80 Prozent verbringen ihre letzten Stunden in einer Institution. Mit Schmerzen und Fragen allein gelassen werden möchte niemand, egal wo. Wie eine gute palliative Versorgung von Menschen aussehen kann, was dabei wichtig ist, das erzählen David Fitzpatrick und Steffi Gebel vom Caritas Seniorenzentrum Haus am See.
Von Eva-Maria Werner
„Wir machen Lebensbegleitung, keine Sterbebegleitung“, das ist David Fitzpatrick, Fachpfleger für Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin im „Haus am See“, wichtig zu betonen. „Auch das Sterben ist eine Lebensphase und wir versuchen, so viel Qualität in jedes Leben reinzupacken, wie nur möglich. Wir fragen nach den Träumen unserer Bewohner, versuchen, letzte Wünsche zu erfüllen. Und sei es nur, noch einmal gemeinsam in die Eisdiele zu gehen oder frischen Spargel in einem schönen Restaurant zu essen.“ Seit 2009 läuft im Altenheim „Haus am See“ in Nohfelden-Neunkirchen das Modellprojekt „Palliative Care (Palliative Versorgung)“, das vom saarländischen Ministerium für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport gefördert wird. Ziele sind die palliative Versorgung der Bewohner (siehe Infokasten) sowie der Aufbau eines palliativen Netzwerkes, in das Haus- und Fachärzte mit Weiterbildung in Schmerzmedizin/Palliativmedizin eingebunden sind.
„Wir leisten mit diesem Projekt im Saarland Pionierarbeit“, sagt Hausleiterin Steffi Gebel, „doch neu ist uns das Thema Palliativpflege nicht. Ich habe mich schon länger damit auseinandergesetzt.“ Auch die Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken, zu der das „Haus am See“ gehört, habe sich sehr offen für dieses Modell gezeigt. Das „Haus am See“ ist kein Hospiz und keine Palliativstation, sondern ein Altenheim mit Schwerpunkt Palliativpflege. „Wir stehen nicht in Konkurrenz zu anderen Palliativeinrichtungen“, betont Gebel, „wir arbeiten gut mit ihnen zusammen und sind Teil des Geflechts, das der Gesetzgeber aufgebaut hat“. Am Modellprojekt „Palliativpflege“ im „Haus am See“ nehmen Menschen teil, die zwar palliativtechnisch noch zu Hause leben könnten, es ihnen dort aber aufgrund fehlender entsprechender Rahmenbedingungen nicht mehr möglich ist und die sich meist noch nicht direkt in der Sterbephase befinden. „Manche sind nur eine Woche bei uns, andere zwei Jahre“, sagt Gebel. Zwischen acht und zehn Menschen nehmen am Modellprojekt teil, jedoch nicht in einer abgeschlossenen, eigenen Abteilung, sondern inmitten der eigentlichen Wohnbereiche des Altenheims.
„Palliative Versorgung ist eine Haltung, die unser ganzes Haus durchzieht“
„Das hat sich bewährt“, sagt Fitzpatrick. Auf diese Weise seien die Palliativpatienten in den Alltag der anderen Altenheimbewohner eingeschlossen. „Unsere Begleitung geht auch über den Tod hinaus. Es ist für die Menschen in den Wohnbereichen wichtig zu sehen, wie wir mit den Verstorbenen umgehen. Wir bieten ihnen an, sich zu verabschieden, mit ihnen zusammen zu dem Verstorbenen zu gehen oder den Sarg zu begleiten, wenn er nach draußen getragen wird.“ Im Vorgarten gibt es eine kleine Gedenkecke mit Steinen, die die Namen der Verstorbenen tragen. Im Sommer, wenn Tische und Stühle dort stehen, sind die Verstorbenen auf diese Weise noch mittendrin und nicht vergessen. „Palliative Versorgung ist mehr als ein Tun, es ist eine Haltung, die mittlerweile unser ganzes Haus durchzieht“, sagt Hausleiterin Gebel. „Von der Reinigungskraft über die Haustechnik, die Köche bis hin zum eigentlichen Pflegepersonal: Mittlerweile sind alle vom Gedanken der palliativen Begleitung infiziert.“ „Ein konkretes Beispiel“, wirft Fitzpatrick ein, „der Koch schaut mich nun nicht mehr komisch an, wenn ich ihn um Räucherlachs oder Sekt bitte, um damit die Mundpflege eines Patienten zu beginnen.“ Menschen, die niemanden mehr an ihren völlig ausgetrockneten Mund ließen, öffneten sich plötzlich aufgrund positiver sinnlicher Erfahrungen, die ihr Lieblingsessen auf ihren Lippen auslöse. „Indem alle im Haus den Gedanken der palliativen Versorgung verinnerlicht haben, schaffen wir ein Netzwerk der Hilfe um unsere Bewohner“, sagt Gebel. „Ich kann Palliativepflege nicht nur für die Patienten allein anbieten, da gehören viele dazu: die Angehörigen, die Sterbenden selbst und die Mitarbeiter. Ich merke, dass wir insgesamt achtsamer miteinander umgehen, eine andere Haltung in der Einrichtung herrscht.“
„Es ist ein Beruf, der von uns verlangt, dass wir uns öffnen, etwas von uns preisgeben, ein Klima des Vertrauens schaffen“, sagt Fitzpatrick. „Es ist absolut notwendig, authentisch zu sein, sich selbst ein Stück zu geben, sonst kann man keine gute Begleitung Sterbender machen. Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der die Menschen uns vertrauen, ehrlich
Lebensrückschau halten können, über ihre Träume, verpassten Gelegenheiten und auch über Schuld sprechen können.“ Das ist es, was Fitzpatrick an der Palliativpflege so fasziniert. Dass nicht nur der medizinische Aspekt im Vordergrund steht, sondern der Mensch in seiner Gesamtheit in den Blick kommt. Palliative Versorgung berücksichtigt die medizinischen, pflegerischen, psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse des jeweiligen Patienten. Innerhalb dieses Geflechts habe jeder andere Bedürfnisse.
Jeder stirbt anders, jeder hat andere Bedürfnisse
„Wir hätten ja gerne manchmal einen Beipackzettel: Wie geht sterben?“, sagt Gebel, „doch so einfach ist es nicht. Jeder stirbt anders“. „Deshalb fragen wir uns auch nicht: Wie sieht die Sterbebegleitung bei uns im Haus aus, sondern: Was braucht diese Frau, dieser Mann ganz individuell?“, ergänzt Fitzpatrick. Der gebürtige Engländer, der eine Zusatzausbildung für Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin absolviert hat und einige Jahre dem Orden der Redemptoristen angehörte, hat nach langen Jahren der Arbeit in einem konventionellen Krankenhaus im Altenheim „Haus am See“ seine Bestimmung gefunden. „Zu pflegen war für mich schon immer die Auseinandersetzung nicht nur mit einer aktuellen Erkrankung, sondern mit den grundlegendsten Bedürfnissen des Menschen. Dabei zählen nicht nur die Probleme, die sich aus einer Erkrankung ergeben, sondern auch die psychologischen, emotionalen und spirituellen Bedürfnisse, die jeden Menschen so einzigartig machen. Als ich meinen Vater von seiner Krebsdiagnose bis zu seinem Tod begleiten durfte, habe ich die Bestätigung gefunden, dass diese Art zu pflegen nicht nur den Bedürfnissen des Patienten gerecht wird, sondern auch meinem Bedürfnis als Pfleger.“ Das ist seine Antwort auf die Frage von Menschen, die ihn immer wieder fragen, wie er so eine Arbeit nur tagtäglich machen kann. Große Dankbarkeit erfährt er nicht nur von den Sterbenden selbst, sondern auch von ihren Angehörigen, die stark miteinbezogen werden und lernen, dass der „Erfolg“ einer guten Begleitung nicht unbedingt darin liegt, medizinisch, „alles, aber auch wirklich alles getan zu haben, damit man sich später keine Vorwürfe machen muss“, sagt Fitzpatrick. „Was der Mensch beim Sterben braucht, ist menschliche Nähe. Wir ermutigen immer wieder zur Ehrlichkeit am Bett, dazu, sich und anderen nichts vorzumachen, die Situation zu erkennen und sich zu fragen, was können wir mit den Möglichkeiten, die wir jetzt noch haben, denn noch tun?“
Liebevolle Begleitung mit Blaubeermarmelade und Kaffee
Einige der Angehörigen, die gute Erfahrungen in der Begleitung sterbender Familienmitglieder machen konnten, die zum Teil gerade dabei über sich selbst hinausgewachsen sind und auch Erleichterung in ihrem Trauerprozess erfahren konnten, sind dem „Haus am See“ als Ehrenamtliche erhalten geblieben. „Sie kommen zu Besuch, bringen frische, selbstgemachte Blaubeermarmelade oder Kaffee mit und sind einfach aufmerksam“, freuen sich Fitzpatrick und Gebel. Gut funktioniere auch die Kooperation mit der christlichen Hospizhilfe. „Die Ehrenamtlichen sind wichtig für unsere Bewohner. Sie fühlen sich durch die regelmäßigen Besuche nicht im Stich gelassen, haben dadurch noch eine Verbindung nach draußen.“ Allen, egal ob Haupt- oder Ehrenamtlichen, gemein ist beim Umgang mit den Sterbenden der Mut, zu begleiten und auszuhalten. „Wir erfahren dabei Sinn und Erfüllung“, sagt Fitzpatrick, „wir sind ein Haus voller Leben“.
Haus am See
Das „Haus am See“ in Nohfelden-Neunkirchen/Nahe ist ein Altenheim mit dem Schwerpunkt palliative Versorgung. Pflegefach- und –hilfskräfte wurden im Basiswissen palliative Versorgung, Demenz und Biographiearbeit geschult. Vier Pflegefachkräfte verfügen über eine qualifizierte Weiterbildung (160 Stunden) in palliativer Versorgung und vier Pflegefachkräfte über eine gerontopsychiatrische Weiterbildung.
Infos unter Telefon (0 68 52) 9 08-0